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Wenn
man in der Nähe der Staatsoper ist, kann man eigentlich
zu Fuß gehen. Zum Schwarzenbergplatz ist es dann nicht
mehr weit. Aber da der einige hundert Meter lang ist, muss
man von dort noch einige Schritte laufen. Quasi bis vor
die Tür kommt man mit dem 71er. Für Nicht-Wiener: das
ist die Straßenbahnlinie 71. |
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Von der Zielhaltestelle aus
"Am Heumarkt" sieht man bereits die Tortenspitze
von dem mächtigen dreieckigen Gebäude des Palais Fanto
und davor die Fahnen mit den zwölf versetzten Balken –
sie symbolisieren die zwölf Töne der Zwölftonmusik. Auf
der Höhe der ersten Etage prangt in großer Leuchtschrift
das Schild "Arnold-Schönberg-Center". |
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Track
1
Anfang:
"Gepfiffen"
Ein unkonventioneller Versuch mit den ersten Noten
von Arnold Schönbergs "Klavierkonzert"
Op. 42"
zum 5. Geburtstag des
Arnold-Schönberg-Centers,
Mitschnitt einer Veranstaltung |
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Track
2 (Dr. Christian Meyer, Schönberg-Center Wien)
Schönberg hat gesagt, was wünscht er sich schon? Das
eine ist, dass er gerne mal als ein bisschen besserer
Tschaikowsky gesehen werden würde von der
Musikgeschichte. Und das zweite, er hätte gern, dass
seine Melodien eines Tages auf der Straße gepfiffen
werden. Und das war so halb wahr und halb witzig, und nun
haben wir gedacht, kein Problem, wir pfeifen Schönberg
draußen auf der Straße und haben einen Akkordeonisten,
der hier sehr viele Neue Musik bei uns macht, der das
Schönberg-Klavierkonzert so transkribiert hat, dass er
einen Ausschnitt davon auf dem Akkordeon spielen konnte
– was aberwitzig war. Also das war atemberaubend. Das
hat alle, auch die noch was von Schönberg gehört haben,
in der Straßenbahn gefesselt. Und dann hat er einzelne
Stimmen auch noch dazu gepfiffen. Und dann haben wir einen
Ausschnitt aus Pierrot Lunaire gemacht von einer jungen
Sängerin, und er hat den Klavierteil am Akkordeon
gespielt. Und da haben wir dann den „Kranken Mond“ gemacht
aus dem Pierrot und haben dazu noch Noten verteilt und
hatten da auch noch einen jungen Schauspieler, der da als
Moderator dabei war. Das war ne ganz wilde
Drei-Mann-Partie, die hier den 71er gefahren ist. Der
71er, der verbindet die Wiener Innenstadt von Ring und vom
Schwarzenbergplatz aus, fährt dann unmittelbar an unserem
Center vorbei mit dem Wiener Zentralfriedhof. Und der ist
ja für Wien etwas ganz Besonderes, das ist ja nicht nur
ein Ort für die Toten, sondern auch ein Ort für die
Inspiration. Also eine wichtige Straßenbahnlinie, der
71er. So, und wird sind dann zwischen Zentralfriedhof und
Innenstadt mit Schönberg hin- und hergefahren und haben
da die Leute teilweise ein bisschen verblüfft und
verunsichert, und schon war das Fernsehen da und das Radio
da. Und das war ein Riesen-Remmidemmi. So haben alle
miteinander – auch die Medien – gefeiert, dass das
Schönberg-Center fünf Jahre alt ist. |
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Christian
Meyer, Direktor des Wiener Schönberg-Centers spricht vom Jahre 2003. Von
der Straßenbahnfahrt gibt es leider keine Tonaufnahme. Aber bei einer großen
Gala zu diesem kleinen Jubiläum wurde der Versuch noch einmal wiederholt,
den Anfang von Schönbergs Klavierkonzert mit den Gästen zu pfeifen:
Track
3
Ende:
"Gepfiffen"
Ein
unkonventioneller Versuch mit den ersten Noten
von Arnold Schönbergs "Klavierkonzert"
Op. 42"
zum 5. Geburtstag des
Arnold-Schönberg-Centers,
Mitschnitt einer Veranstaltung ((langsam
in den Text ausblenden und rausziehen)) |
„Falsch
phrasiert“, warf ein Besucher spöttisch ein. Und wie man sich
leicht denken kann, klingt es im Klavierkonzert ein wenig anders.
Dieses Konzert für Piano und Orchester, Opus 42 stellte Arnold
Schönberg 1942 fertig, 1944 wurde es in New York uraufgeführt.
Die folgende Aufnahme wurde im Dezember 1992 in London
aufgezeichnet. Wir hören einen Ausschnitt aus dem Andante. Das
Piano spielte damals Emanuel Ax. Am Pult des Philharmonia-Orchestra
stand der Finne Esa-Pekka Salonen.
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((Anfang muss
frei stehen! Die ersten Töne sind wichtig.))
Track
4
Andante,
aus: Concerto for Piano and Orchestra, Op. 42
(Piano: Emanuel Ax, Dirigent: Esa-Pekka Salonen),
auf: Schoenberg in America 1934-1951
SONY Music 5 099706 202226, LC 6868
((nach ca. 2:50
absenken und rausziehen)) |
„Live
was so easy“ – Das Leben war so einfach – diese
programmatische Anmerkung findet sich in Arnold Schönbergs
Notizen zu diesem ersten Abschnitt. Das Klavierkonzert wurde mit
der Methode der Zwölf-Ton-Technik komponiert. In der
musikalischen Dramaturgie versucht Schönberg seine Erfahrungen
mit Antisemitismus und der anbrechenden Nazi-Herrschaft zu
verarbeiten. In seinen Bemerkungen zu den nächsten Abschnitten
heißt es zum zweiten „Plötzlich brach Hass aus“, zum
nächsten „Es wurde eine bedenkliche Situation geschaffen“ und
schließlich „Das Leben geht weiter“.
Schönberg
war Jude von Herkunft, hat sich aber 1898 im Alter von 23 Jahren
für den Protestantismus entschieden und sich evangelisch taufen
lassen. Im Juni 1921 – er verbringt seinen Urlaub in Mattsee,
knapp 20 km entfernt von Salzburg, und arbeitet an der
Zwölfton-Methode – da erreicht ihn ein Brief der
Gemeindeverwaltung des Urlaubsortes, Juden sei der Aufenthalt
nicht gestattet. Ein eindrückliches Erlebnis, vielleicht sogar
ein Wendepunkt in seinem Leben.
Dennoch:
Schönberg versucht sachlich zu bleiben. Er wechselt den Urlaubsort
und schreibt in Traunkirchen weiter an seiner „Methode mit
zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen zu komponieren“. Er will
einen Meilenstein setzen, um die geschwätzig-romantische Ära der
Komposition zu überwinden, ohne aber auf ein ordnendes System zu
verzichten. Christian Meyer beschreibt, was diese Art zu
komponieren charakterisiert.
Track
5 (Dr. Christian Meyer, Schönberg-Center Wien)
Zwölf-Ton-Werke sind auch etwas, was nicht so entsteht,
wie ein herkömmliches Werk, dass der Komponist sich vor
das Notenpapier setzt und zu schreiben beginnt, sondern
der erste Kompositionsschritt ist, dass Arnold Schönberg
eine Reihe von zwölf Tönen festgestellt hat. Das sind
die zwölf Halbtöne, die eben in einer Oktave drin sind:
C, Cis, D, Dis, usw. bis zum H, und die angeordnet auf
eine Art und Weise, von der Schönberg schon gesagt hat,
das ist der erste Teil der Komposition. Weil, wenn so ganz
scharfe Dissonanzen oft nebeneinander stellt, und diese
Reihe würde dann immer wieder von vorne nach hinten
abgespielt, dann würde es ein sehr schroffes Wer. Und man
kann auch schreiben C, E, G. Das ist der C-Dur-Dreiklang,
und dann kommen dauernd Dur-Dreiklänge, dann würde das
eher runder klingen, vielleicht sogar fast ein bisschen
tonal. Und die Regel, dann ist die Zwölf-Ton-Methode auch
schon ganz erklärt, lautet: Man nimmt die Reihe, und der
erste Ton, der erklingt, darf erste wieder erklingen, wenn
alle andere elf Töne erklungen sind. Und was er so
schafft ist, dass es nicht ein tonales Zentrum gibt. Es
gibt also keinen Ton, der öfter vorkommt als die anderen,
es gibt nicht so einen Grundton, der wichtiger ist als die
anderen. Daher gibt es dann keine C-Dur mehr, weil das
C-Dur so viel öfter vorkommt als die anderen und das H
der Leitton ist und das E die Dur-Tonart, alles montiert
dieses C, sondern die Töne kommen gleich oft vor. Das
Lustige ist, dass von Kritikern das dann durchaus negativ
als Demokratengeräusche bezeichnet wurde, weil eben die
zwölf Töne gleich viel wert sind, auch ziemlich gleich
oft vorkommen, und weil eben der Versuch ist, hier eine
Demokratisierung der Tonanordnung zu bekommen. |
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